Die Fremdspracheninitiative als Hilfeschrei? Eine Podiumsdiskussion

  1. Mai 2017, 19.30 bis 20.30 Uhr, Schulhaus Friesenberg

Organisation: Elternräte Bachtobel, Küngenmatt und am Uetliberg (Arbeitsgruppe Bildungspolitik)

Mit Lilo Lätzsch, Mitinitiantin der Fremdspracheninitiative und Präsidentin des Zürcher Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (PRO) und Jacqueline Peter, Romanistin, SP-Kantonsrätin und Mitglied der Kommission für Bildung und Kultur (CONTRA)

Moderation: Klaus Ammann

Es sind gegen 50 Eltern, Lehrpersonen und andere Interessierte, welche am Abend des 4. Mai den Singsaal des Schulhauses Friesenberg füllen, um sich die Argumente rund um die Fremdspracheninitiative anzuhören und mitzudiskutieren. Zum dritten Mal seit 2006 urteilt die Stimmbevölkerung des Kantons Zürich über die Frage, ob eine oder zwei Fremdsprachen bereits ab Primarschulstufe eingeführt werden sollten. Bisher zweimal zustimmend: Seit 2007 lernen die Kinder ab der 2. Klasse Englisch und ab der 5. Klasse Französisch. Die Fremdspracheninitiative, über welche am 21. Mai abgestimmt wird, will diese Entwicklung rückgängig machen und den Unterricht auf eine Fremdsprache reduzieren.

Aber was finden eigentlich die Direktbetroffenen, die Kinder? Um dieser Frage auf die Spur zu kommen, initiierte die AG Bildungspolitik eine Blitzumfrage in einigen Mittelstufenklassen der Schulen Küngenmatt und am Uetliberg. Die Lehrpersonen von sechs Klassen befragten ihre Schülerinnen und Schüler, und das Ergebnis ist deutlich. Eine Mehrheit der 122 Kinder, nämlich 70%, bevorzugen zwei Fremdsprachen. Noch eindeutiger ist die Haltung, wenn die Kinder zwischen den zwei Sprachen wählen müssen: 90 % würden sich – aus verschiedenen und durchaus differenzierten Gründen – für Englisch entscheiden, welches als wichtige Allroundersprache wahrgenommen wird.

Nimmt man den Kindern etwas weg?

Mit den Befunden dieser Adhoc-Umfrage konfrontiert Klaus Ammann zu Beginn der Podiumsdiskussion Lilo Lätzsch: Will man den Kindern etwas wegnehmen? Lilo Lätzsch reagiert gelassen und bestätigt das Ergebnis der lokalen und nicht repräsentativen Umfrage. Tatsächlich würden auch grössere Befragungen bei den Kindern dasselbe Bild ergeben. Es spreche – vor allem beim Englisch – für die Lehrpersonen, wenn die Kinder dem Unterricht positiv gegenüberstünden. Und nein, man wolle den Kindern nichts wegnehmen, sie sollen selbstverständlich beide Sprachen lernen, es gehe aber um den Zeitpunkt. Eines der Hauptargumente der Fremdspracheninitiative lautet, dass die frühe Einführung einer zweiten Fremdsprache schlicht ineffizient sei. Der Lernvorsprung der Kinder sei vernachlässigbar und werde auf der Oberstufe schnell aufgeholt.

Jacqueline Peter argumentiert zwar gegen die Fremdspracheninitiative. Aber sie betont, dass man den Kindern das Englische eigentlich gar nicht wegnehmen könne, dafür sei es im Alltag viel zu präsent. Sie fokussiert aber auf einen anderen Punkt: Vor der Oberstufe würden die Kinder sehr gerne mit den Wörtern und der Sprache spielen, sie seien mutiger und würden mehr experimentieren. Für beide Sprachen, insbesondere aber für das normiertere und stärker fehlerorientierte Französisch, könne das ein grosser Vorteil sein. Prinzipiell vertritt sie die Haltung, dass es für die Kinder interessant sei, früh mit anderen Sprachen und damit mit einer anderen Kultur in Kontakt zu kommen. Auf der Oberstufe hätten die Jugendlichen meist andere Probleme und seien grundsätzlich weniger bereit, sich auf die Fremdsprachen einzulassen. Lilo Lätzsch stimmt zu: Für das Sprechen und die Intonation hätten die Kinder wohl einen Vorteil. Dennoch gelte das „Früh übt sich“ nur begrenzt: Nur 30% der Kinder erreichten im Französisch bis zur 9. Klasse die Lernziele.

Die Frage der Ressourcen

Die wichtigen Lehrpersonenverbände hatten sich bei den früheren Abstimmungen jeweils für zwei Fremdsprachen auf Primarstufe ausgesprochen. Auf die Frage der Kehrtwende der Berufsvertreterinnen angesprochen, meint Lilo Lätzsch, dass bereits früher die Lehrerschaft gespalten war – viele seien stets skeptisch gewesen. Mittlerweile habe sich aber deutlich gezeigt, dass mehr versprochen als eingehalten wurde. Es hätte mehr Ressourcen geben sollen, der Unterricht hätte stärker spielerisch orientiert sein sollen, es hätte gute Lehrmittel geben müssen: Das alles kam nicht. Das grosse Sorgenkind sei das Französisch, es werde stiefmütterlich vernachlässigt. Unter solchen Bedingungen gehe es nicht, und die Zustimmung zur Initiative könne als eine Art Hilfeschrei verstanden werden. Jacqueline Peter teilt die Einschätzung der mangelnden Unterstützung, plädiert aber auch dafür, dass man das Französisch nicht stärke, wenn man das Englisch auf Primarstufe abschaffe – im Gegenteil. Ein positiver Erstkontakt mit der beliebten Fremdsprache Englisch könne einen guten Boden bereiten und die Schülerinnen und Schüler neugierig machen auf Französisch. Dieses könne dann als Erweiterung erfahren werden. Die nötigen Rahmenbedingungen müssten allerdings immer wieder eingefordert werden: Mehr Lehrpersonen, Halbklassenunterricht, Klassenassistenzen, vielleicht Zivildienstleistende aus der Romandie. Dies würde die Schulen entlasten. Die Initiative lässt offen, welche Sprache den Primarschulkindern erhalten bliebe.

Gegen Schluss der Diskussion sind sich die Podiumsteilnehmerinnen einig: Sollten sie mit ihrem jeweiligen Anliegen verlieren, so wäre das keine Katastrophe. Das Schulsystem funktioniere gut. Aber, so Lilo Lätzsch: Man würde nach wie vor viel arbeiten und wenig erreichen. Das sei ein Frust. Und Jacqueline Peter wendet ein: Aber es wäre wirklich schade für alle Kinder, welche Freude an den Sprachen haben.

Die engagierte, aber auch entspannte Diskussion wird anschliessend mit reger Publikumsbeteiligung fortgesetzt. Mehrere Lehrpersonen äussern sich. So sei es ein Problem der Initiative, dass man eben nicht wisse, ob es nachher Französisch oder Englisch sei. Eine Lehrerin bemerkt, dass die Lernziele im Französisch zu hoch angesetzt seien – kein Wunder, würden diese nicht erreicht. Die Fehlerorientierung und die fehlende Grosszügigkeit im Französischunterricht, so ein anderer Lehrer, mache sich bei den Resultaten und in der Motivation der Schülerinnen und Schüler negativ bemerkbar. Ein pensionierter Lehrer verlangt eine eidgenössische Volksabstimmung, damit die Sache ein für alle Mal geklärt sei. Zwei Mütter äussern sich aufgrund eigener Erfahrungen positiv zum Frühenglisch, und ein Vater stellt abschliessend eine wohl zentrale Frage: Was wollen wir den Kindern geben mit dem Fremdsprachenunterricht? Geht es um Punkte in Prüfungen und um Effizienz, oder geht es auch um ihre psychologische Entwicklung und die Erweiterung des Horizonts?

Beim anschliessenden Apéro werden die Diskussionen fortgeführt und der Abend in angeregter Stimmung abgeschlossen.

Zwischen “Mikromassnahmen” und Systemkritik – die kontroverse Diskussion um den Sparauftrag in der Volksschule

Ein Bericht von der Podiumsdiskussion “Sparen in der Bildung – was geht das die Eltern an?” vom Mittwoch, 3. Februar 2016

Mit Kantonsrat Matthias Hauser (SVP), Sekundarlehrer und Kantonsrat Ralf Margreiter (GP), Bildungsexperte KV Zürich Business School

Moderation: Klaus Ammann

Um die 40 Eltern und Lehrpersonen versammelten sich am Mittwochabend im Mehrzweckraum des Schulhauses Döltschihalde, um die Podiumsdiskussion zwischen den beiden Kantonsräten und Bildungsexperten Matthias Hauser (SVP) und Ralf Margreiter (Grüne Partei) zu verfolgen. Moderator und Elternratspräsident Klaus Ammann eröffnete das Gespräch mit der Präsentation von Zahlen zur aktuellen Situation der Bildung im Kanton Zürich – eingeführt mit der Bemerkung, dass nackte Zahlen wohl der Interpretation bedürfen. Diese überliess er den beiden Kontrahenten auf dem Podium, welche die Vorgabe dankbar aufgriffen.

SVP-Kantonsrat Matthias Hauser ging auf die in den letzten Jahren stetig wachsenden Pro-Kopf-Ausgaben des Kantons Zürich für Bildung ein. Diese liegen im nationalen Vergleich zwar unter dem Durchschnitt, Hauser griff als Vergleichswert aber auf die Pro-Kopf-Ausgaben der OECD-Länder zurück, welche wesentlich tiefer liegen würden. Dies nicht allein wegen der hohen Löhne für Lehrpersonen, sondern wegen schlecht kontrollierter Ausgaben. Ralf Margreiter dagegen verwies darauf, dass die steigenden Kosten von System- und Strukturveränderungen im Bildungswesen verursacht würden, und nicht durch eine unkontrollierte Explosion der Ausgaben. So sei die Sanierung der Beamtenversicherungskasse BVK sehr teuer gekommen, ebenso die Zuständigkeit des Kantons für sonderpädagogische Massnahmen. Ausserdem lenkte Margreiter den Blick auf die Einnahmenseite, wo die noch viel krassere Entwicklung in die umgekehrte Richtung stattfinden würde: Durch die vielen Steuererleichterungen würden im Kanton Zürich jährlich über eine Milliarde Franken fehlen. Hauser konterte mit der Feststellung, dass Steuersenkungen eben die Anzahl Steuerzahlender – also das Steuersubstrat – erhöhen würden, was unter dem Strich zu positiven finanziellen Entwicklungen führe. Margreiter bezeichnete darauf die Tendenz zu  Steuererleichterungen als „faktenresistente Politik“, denn gerade das Beispiel der Stadt Zürich mit ihrem vergleichsweise hohen Steuersatz zeige, dass deswegen mitnichten ein Exodus von Vermögensmillionär/innen stattfinden würde.

Was kann man denn streichen?

Die Frage, welche Leistungen des Bildungswesens – vor allem im Bereich Volksschule – denn überhaupt reduziert werden könnten, ohne grossen Schaden anzurichten, wurde ebenfalls kontrovers diskutiert. Matthias Hauser verwies darauf, dass eine Liste mit Kürzungen im Aufgabenbereich von Regierungsrätin Silvia Steiner liege. Im März würden die Vorschläge präsentiert. Lehrerinnen und Lehrer wie er würden zwar nicht gefragt, er persönlich hätte aber schon ein paar Ideen. So könnte die Fachstelle für Schulbeurteilung ersatzlos gestrichen werden, bei der eidgenössischen Zusammenarbeit, beim Lehrplan 21 und bei der Bildungsstatistik gebe es ebenfalls Sparpotenzial. Das Schulentwicklungsprogramm QUIMS (Qualität in multikulturellen Schulen), das zur Erhöhung der Chancengleichheit beitragen solle, habe sich nicht bewährt und könnte ebenfalls abgeschafft werden. Margreiter bezeichnete Hausers Vorschläge als „Mikromassnahmen“, welche bei einem Total von 1.8 Milliarden Ausgaben nicht einschenken würden. Er verwies darauf, dass in der Volksschule die Kosten pro Schüler nicht steigen würden. Jedes Jahr würden alle Leistungsgruppen des Bildungswesens der gleichen Frage unterzogen: Wo kann man kürzen? Im Bildungsbereich werde längst nicht jede Begehrlichkeit umgesetzt, im Gegenteil: Sobald diese ein etwas grösseres Format hätten, würden sie zerpflückt. Er verwies nochmals darauf, dass die Steuererleichterungen von gestern das Problem von morgen seien.

Gegen Ende der Diskussion wurden schliesslich etwas weniger unvereinbare Töne angeschlagen. Es ging um die Frage der Sonderpädagogik, welche im Kanton besonders markant zu Buche schlägt. Margreiter gab zu bedenken, dass hier vermutlich falsche Anreize wirksam seien: Die momentan praktizierte integrative Förderung in den Regelklassen führe dazu, dass auch Massnahmen beschlossen würden, welche nicht zwingend  gut begründet seien. Denn die einzelne Schule kosten diese Massnahmen nichts. Die Abschaffung der Kleinklassen sei zwar aus guten Gründen erfolgt, aber um die Anreize zu senken, sei vermutlich eine Quote für die integrierte Förderung nötig. Auch Hauser befand, dass er zwar als Lehrer die Unterstützung durch die integrierte Förderung durchaus schätze und dass diese sehr entlastend wirke. Letztlich sei es aber zu niederschwellig organisiert und deshalb würde er die Kleinklassen wieder einführen. Dann hätte man nur die wirklich schwierigen Fälle aus der Regelklasse verbannt, aber mit den anderen – die heute vielleicht Förderung erhalten würden – könnte man weiterhin in der Regelklasse arbeiten.

Integrationspunkte statt PISA-Punkte

Schliesslich betraf einer der letzten Punkte die Frage der gesellschaftlichen Aufgaben der Volksschule. Hauser wies abermals darauf hin, dass nicht jeder Franken mehr die Qualität des Bildungswesens steigere. Dies zeige der Vergleich mit anderen Ländern, die mit tieferen Pro-Kopf-Ausgaben sehr gute Bildungsresultate erzielen würden. Margreiter griff diesen Punkt auf und bemerkte, dass diese Länder aber auch eine vergleichsweise homogene Bevölkerungsstruktur aufweisen würden. Die Schweiz dagegen ist eine Migrationsgesellschaft. Und eine wesentliche Aufgabe der Schule, die sie in der Schweiz auch gut erfülle, sei die Integration. Die Volksschule trage sehr viel dazu bei, einen gemeinsamen Weg zu finden.

Die ans Gespräch anschliessende Diskussion mit den anwesenden Eltern und Lehrpersonen drehte sich um die auf dem Podium entwickelten Ausführungen, schwenkte zwischendurch zur Frage der Maturandenquote und der Länge der gymnasialen Ausbildung, konkretisierte sich aber auch in Hinblick auf die Situation in der Stadt Zürich. So fiel etwa die Frage, wie sich neue Sparmassnahmen auf die Stadt Zürich auswirken würden, oder auch, wie man als Eltern die Sparmassnahmen denn ganz konkret spüren würde. Hier ergaben sich mehrere Antworten: Faktisch würden vermutlich die Klassengrössen steigen, und es würde weniger Halbklassen- und Gruppenunterricht geben. Diese Aussagen – ob sie sich nun bewahrheiten oder nicht – gaben der zuvor eher auf abstrakteren politischen Linien verlaufenden Diskussion plötzlich eine konkrete und fassbare Wendung. Eine, die aus Elternperspektive auch die Situation der eigenen Kinder in ihrem schulischen Alltag in Erinnerung rief.  Die rege Diskussion wurde mit Beteiligung der beiden Podiumskontrahenten beim anschliessenden Apéro fortgesetzt.